Montag, 26. Dezember 2011
Nicht mehr unschuldig
Es tut mir weh, mich so zu sehen. Doch ich kann den Schritt zurück nicht gehen. Das erste Mal seit zwei Jahren bin ich wieder frei, aber mein Ziel hab ich verloren. Das Gefühl vorher war definitiv besser. Ich weiß nicht mehr, ich bin mir nicht mehr sicher, was, wohin, warum.

Vorher, was wollte ich da? Zweimal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, angekommen zu sein. Jedes Mal wegen einem Kerl. Hm, wie war das noch: eigenständige, selbstverantwortliche junge Frau, die Kurve habe ich irgendwie verpasst. Wobei süße kleine emotionale Abhängigkeit hat mich schon immer gekickt.

Mit dem ersten war es wow. Auf den ersten Blick. Keine Zweifel. Keine Alternative. Sonst gab es immer zu allem tausend Optionen. Ja, ich wollte studieren, ja meine erste Wahl war Medizin, aber Architektur, Psychologie und Physik haben mich auch gereizt. Ich wäre gern nach Leipzig gezogen. Nicht weit weg von zu Hause. Mein Bruder lebt dort. Aber es ist Halle geworden und ich hab nur zwei Tage gebraucht, um mich mit dem Gedanken anzufreunden. Bei ihm war das anderes. Ich wollte ihn. Auf Biegen und Brechen. Ich wollte, ich wollte, heillos, rettungslos. Vernagelt. Gleichzeitig war es das Beste, was ich bis dato gefühlt hatte. Endlich festgelegt. Er war ganz und gar nicht festgelegt, ausgeprägte Aversion gegen Festlegen, außer vielleicht in einem, mich niemals ganz zu wollen, aber nicht mal da bin ich mir sicher. Leider, zum Glück bin ich verdammt ehrgeizig. Ich habe über ein Jahr gebraucht, um zu realisieren, dass er mich nicht will. Das hätte man wesentlich schneller haben können, aber dann hätte ich auch wesentlich seltener das Gefühl von so soll es sein, so kann es bleiben gehabt. Am Ende gab es kein Entkommen vor dem Schmerz.

Mit dem zweiten war es anders, ganz anders. So still, so leise, aber tief. Zumindest für mich. Er war der einzige, mit dem ich jemals reden konnte, ohne den Druck zu spüren, über meine Worte nachdenken zu müssen. Es war einfach und wunderschön. Vorher hätte ich nie geglaubt, dass ich wirklich loslassen kann, loslassen ohne den Boden zu sehen und ohne Angst vor dem Aufschlag zu haben. Aber es ging. Und ich konnte reden, das erste Mal wirklich reden, ungefiltert. Und er konnte mich sehen, ungeschminkt. So kannte mich weder meine Mutter, noch mein bester Freund, den ich seit der siebten Klasse kenne. Er mochte mich zumindest temporär, genau genommen eine Steigerung zu Nummer eins. Aber nichts von Dauer. Ich hab ihn nie gehalten und doch ist da was.

Mein Studium. Das hat mir so lange, so viel bedeutet. Mehr als alles andere, aber nur bis zum Physikum. Das war vor zwei Jahren. Zurzeit weiß ich nicht mehr, wie wichtig es mir noch ist. Abitur. Zeugnisausgabe. Mein Schnitt war besser als das, was ich erreichen wollte. Nicht Schulbeste, aber Klassenbeste. Einen Abend, ein Abendessen war ich zufrieden. Zwölfeinhalb Jahre für einen Abend, aber damals hab ich noch nicht gezweifelt. Mein Abiball, für mich ohne Bedeutung. Ein hübsches Kleid anzuziehen, kickt die Frau, aber sonst hat es mir nichts gegeben.

Die Sache mit den Männern war um Längen befriedigender als das mit der Leistung, trotz Erfolglosigkeit, trotz unerfüllter Liebe. Aber in dem anderen bin ich gut, richtig gut, wahnsinnig gut. Ob es mir deshalb nicht so viel bedeutet? Wobei investieret habe ich in mein Studium mehr, bis auf das letzte Jahr.

Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich will. Wie viel ich wofür bereit bin, zu tun. Ich weiß nicht, wie ich das herausfinden soll. Aber ich muss und das schnell. Ich brauch irgendeinen Weg und mir ist fast egal welcher. Ich kann nichts anfangen mit Strukturlosigkeit, Unabhängigkeit. Oder sollte ich vielleicht gerade das lernen? Andererseits zu Pierre gab es die Steigerung Martin, vielleicht sollte ich das noch nicht begraben und mir meine persönliche neue Höhenmarke suchen. Das Studium – aber nur ein Abend.

Wahrscheinlich sollte ich erstmal an meinen Defiziten arbeiten und mir für den Rest ein bisschen Zeit zum Nachdenken lassen.

... link (0 Kommentare)   ... comment