Dienstag, 27. Dezember 2011
Meine kleine Nichte
Der rote Baustein kommt auf den gelben.

Wenn sie den Raum betritt, sieht alles einen Augenblick hin und steht still. Aber nur einen Moment. Klick. Alles wie vorher.

Auf den roten noch ein roter Baustein.

Wir liegen auf der Couch. „Schlafen“, eines ihrer Lieblingsspiele. Dann kuschelt sie sich an, legt den Kopf auf meine Schulter, schließt die Augen. Nähe, ich hab solche Angst vor Nähe. Aber da auf dem Sofa für fünf Minuten nicht. Ihre Heiterkeit ist ansteckend. Sie hat Vertrauen. Sie sieht mich an, lächelt und hat Vertrauen. Diesen Blick könnte ich niemals enttäuschen, wenn ich es irgendwie verhindern kann.

Und noch ein blauer Stein oben drauf.

„Ein Monster, ein Monster“, schreit Lisa und zeigt mit dem Finger auf die Ecke im Wohnzimmer. Sie springt auf, ich springe auf, ohne darüber nachzudenken. Wir rennen in mein Zimmer: hinlegen, schlafen, das Monster erscheint, wir rennen weg. Es geht hin und her zwischen Sofa und Bett. Eine Stunde, ich bin echt geschafft. Dann wird Papa geholt. Papa verscheucht das Monster natürlich.

Ein grüner Stein.

Ich halte Schlappi, einen kleinen Plüschhund im Arm. Lisa steht in der Ecke und schmollt, weil sie das Tierchen haben möchte. Inzwischen hat sie sich hingesetzt mit verschränkten Armen, die Mundwinkel nach unten gezogen, funkelt mich böse an. Ich werfe ihr Schlappi zu. Lisa springt auf, hebt ihren Schlappi vom Boden auf. Ein Leuchten in den Augen, ein Strahlen im Geicht, wild auf und ab hopsend. Freude.
Ich freue mich auch oft, aber so könnte ich das nie ausdrücken, selbst wenn ich wollte. Wobei das in den meisten Situationen wohl auch günstiger ist, schließlich bin ich nicht mehr drei. Ich frag mich, ob ich das mit drei konnte und wenn ja, warum und wann mir diese Unbeschwertheit abhanden gekommen ist. Ob es einen Weg zurück gibt? Ob ich den gehen möchte? Mir ist kalt, Analytik ist kalt, Gefühle sind warm, aber wenn man sich verbrennt, tut es weh. Warum spür ich Erfrieren nicht in dieser Intensität? Oder immer wieder, aber dafür muss es länger kalt sein, aber die Zeit wird immer kürzer.

Noch ein grüner Stein.
Der Turm wird höher, er schwankt und wackelt.
Ein gelber Stein.

Lisa tritt an den Esstisch. Mittelpunkt. Sonnenschein. Sie scheint noch keine Erwartungen zu haben. Nicht an andere, nicht an sich selbst. Alles, was da ist, ist gut, wird genutzt. Etwas was nicht da ist, wird auch nicht vermisst, es existiert einfach nicht. Und das sieht zumindest so verdammt einfach aus.

Wieder ein roter Baustein.
Der Turm fällt, er ist kaputt, zerstört. Lisa lacht und freut sich.
Ich kann nicht verstehen, warum das nicht schlimm ist. Der Turm ist umgefallen. Weg. Und es hat einfach keinerlei Bedeutung. Es interessiert nicht.

Unbändige Freude – aber wenn man nicht haben kann, was man begehrt, hört man auf, es zu wollen und sucht sich stattdessen etwas anderes aus. Es gibt ja so viele schöne Sachen. Und das geht so schnell – so wahnsinnig schnell. Manchmal komm ich selbst nicht hinterher.

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